Montag, 12. Oktober 2020

Die Buchreihe Ferne Ufer hat eine ungewöhnliche Entstehungsgeschichte. Ich bin mit fünfzehn zur Seemannsschule in Priwall gegangen, habe trainiert, wie man in einem Rettungsboot überlebt, Morsen und Flaggensignale habe ich gelernt. Nach drei Monaten trat ich meine erste Heuer als Schiffsjunge an Bord der San Juan Trader an und fuhr nach Peru. In den folgenden Jahren lernte ich viele Seeleute kennen, Deckoffiziere, Matrosen, Heizer. Einige von ihnen traf ich Jahre später wieder. Juan Molina, Spanier, er stammte von Teneriffa, und wir fuhren zusammen nach China. Jahre später trafen wir uns zufällig in Matansas auf Cuba.
So war es auch mit Liam Young, dem Autor dieses Buches. Er ist Brite aus Swansea, einer Hafenstadt in Süd-Wales. Wir fuhren als Matrosen auf demselben Schiff nach Nicaragua, musterten nach unserer Rückkehr in Rotterdam ab, tranken noch ein paar Bier und ich dachte - schade, ein guter Freund schlägt einen anderen Weg ein.
Nach über fünfzig Jahren trafen wir uns in Spanien wieder, wo ich inzwischen lebe. Es wurde ein feucht-fröhliches Treffen. Irgendwann zu fortgeschrittener Stunde und nach einer Menge Rotwein, sagte Liam: »Was wir erlebt haben, das müssen wir aufschreiben, die guten und die bösen Sachen. Du erzählst mir deine Abenteuer, ich pack meine dazu und du schreibst alles auf.«
So machten wir es. Als ich die erste Fassung las, begriff ich, wie abenteuerlich unser Seemannsleben in jenen Jahren war.
Manches mag nach Seemannsgarn klingen. Der Leser möge aber bedenken, dass man die damals gebräuchliche Technik nicht mit der des 21. Jahrhunderts vergleichen kann. Container-Schiffe gab es noch nicht, nicht mal MacGregor-Luken. Die Laderäume wurden mit Holzdeckeln abgedeckt und mit ölgetränkter Persenning gegen Regen und überkommende See geschützt. Was aber den angenehmen Nebeneffekt hatte, dass die Liegezeiten in den Häfen oft Wochen dauerten. Mit der San Juan Trader lagen wir mal mehr als drei Wochen vor der peruanischen Küste auf Reede und warteten auf Fracht. Mit einigen Kameraden nutzte ich die Zeit für einen Ausflug in die Halbwüste zwischen dem Erzhafen und der Stadt San Juan, der unser Schiff den Namen verdankte. Bei den extrem kurzen Liegezeiten heute, oft nur Stunden, sind solche Abenteuer undenkbar.
Auch die Navigation war abenteuerlich. Ich erinnere mich, wie ich mal im Indischen Ozean gegen Mittag zur Wachablösung auf die Brücke kam. Es war trübes Wetter, die Sonne für die Bestimmung des Breitengrades um 12 Uhr, Mittagsbesteck genannt, ließ sich nicht blicken. An Backbord war ein schmaler Streifen Land zu sehen und ich hörte, wie einer der Offiziere sagte: »Ist das Indien oder Ceylon?«
Wir sind trotzdem wohlbehalten in Singapur angekommen.
Inzwischen sind Menschen auf dem Mond gelandet, wir haben Satellitennavigation und in beinahe jedem Pkw ein GPS. Die ersten Autos fahren autonom, und bald wird man nicht mehr am Lenkrad sitzen müssen.
In den 50-zigern gab es eine deutsche Reederei, die prinzipiell keine Radargeräte auf ihren Hochseeschiffen installieren ließ. Begründung: Der Einsatz eines Radargerätes auf der Brücke eines Seeschiffes führt zwangsläufig dazu, dass die Aufmerksamkeit der Offiziere nachlässt. Anders gesagt - geht auch bei Nebel gefälligst verantwortungsvoll Wache und Ausguck.
Die Buchreihe Ferne Ufer und der erste Band Shanghai ist keine Fortsetzung meines Buches Saigon. In Saigon wird der Lebensweg zweier Männer und ihre Flucht aus Europa beschrieben. Hans, der Seemann und Jean-Pierre, der ehemalige Mann der Waffen-SS. Ihr gemeinsames Ziel ist Vietnam. Sie gehen an Bord eines deutschen Frachters und treffen dort auf den Schiffsjungen Jens.
Die Zusammenarbeit mit Liam und die Erinnerungen an jene gemeinsamen Jahre auf See, hat uns beide so fasziniert, dass wir nach der Freigabe des ersten Buches Shanghai zum Druck nicht nur eine, sondern mehrere Fortsetzungen beschlossen haben.

D.W. Crusius
Valencia Januar 2020